Newsletter Arbeitsrecht 2018 I
1. BAG 23.01.2018: Rundung von Urlaubsbruchteilen
Die Klägerin erhielt 2007 keinen Urlaub (25 AT) und gebar am 25.01.2008 ein Kind. Sie nahm bis 04.01.2011 Mutterschutz/Elternzeit in Anspruch, nach Geburt des zweiten Kindes im September 2011 folgten entsprechende Schutzzeiten bis 14.09.2014, ohne dass zwischenzeitlich Urlaub gewährt worden wäre. Vom 13.10.2014. bis 01.01.2015 und 15.01.2015 bis 29.03.2015 war die Klägerin krank, sie erhielt Urlaub für 06.-24.07.2015 zuteilt. Die Beklagte kürzte nunmehr mit Schreiben vom Juli 2015 den Urlaub „rückwirkend“ um 1/12 für jeden Monat der Elternzeit, das Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2015. Die Klägerin verlangte Urlaubsabgeltung für 190 Urlaubstage mit 11.400,00 EUR brutto für 2007-2015. Das BAG betont, zunächst müsse jedes Urlaubsjahr einzeln betrachtet werden. Für 2008 bestanden hiernach noch 6,25 Urlaubstage, dieser Urlaubsanspruch ging nicht unter, sondern bestand bis zur Beendigung am 30.09.2015 fort. Entgegen des Verbots der Rundung von Urlaubstagen sei im Abgeltungsfall der ungerade Teilbetrag von 0,25 Urlaubstagen rechnerisch zu ermitteln und entsprechend abzugelten.
2. LAG Köln 12.01.2018: Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankung im Laufe des Tags
Der Kläger nahm am 10.05. um 11.27 Uhr seine Tätigkeit auf, es kam zum Streitgespräch mit dem Schichtführer. Um 14.44 Uhr stempelte der Kläger aus. Der Kläger legte nachfolgend eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für 10.05.-13.05. und eine Folgebescheinigung bis 20.05. vor. Das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit war im Entgeltfortzahlungsprozess streitig. Der Arbeitgeber hielt den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für erschüttert, habe doch der Kläger 3 Std. lang seine Arbeit „putzmunter“ ausgeübt. Das LAG verweist zunächst auf die BAG Rechtsprechung, wonach Bruchteile von Tagen zur Zahlung für den ganzen Tag führen, dieser wird bei der Berechnung des 6-Wochenzeitraums nicht mit gerechnet. Mehr als einen Hinweis auf die seit 1971 bestehende BAG-Rechtsprechung, „diese Handhabung sei ein Gebot der Praktikabilität und entspreche der seit „eh und je“ bestehenden betrieblichen Praxis“ hat das LAG allerdings an Begründung nicht zu bieten.
Den Beweiswert der vorgelegten AUB hält es für hoch, dieser Beweiswert sei durch den Vortrag des Unternehmens nicht erschüttert. Ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit seien z. B. dann anzunehmen, wenn eine Arbeitsunfähigkeit mit Rückwirkung bescheinigt wird (LAG R/P 13.01.2015) oder die Krankschreibung nur aufgrund telefonischer Rücksprache und ohne Untersuchung erfolgt (BSG 16.12.2014). Die Behauptung des Unternehmens, der Mitarbeiter sei bei Verlassen „bester Gesundheit“ gewesen, genüge nicht. Hierfür hätte das Unternehmen Tatsachen vorzutragen gehabt (sprich: beim Verlassen zeigte der Kläger keinerlei Beeinträchtigungen der durch ihn später als Krankheit dargestellten Umstände). Im Ergebnis der Entscheidung wird also durch das Unternehmen stärker nachzufragen sein, worauf das Leistungshindernis bei Verlassen beruht. Freilich muss der Mitarbeiter hierzu keine Auskunft geben, Erkenntnisse sollten zur späteren Verwertbarkeit – auch in Übereinstimmung mit der EU DS-GVO – sauber dokumentiert werden.
3. BAG 31.01.2018: Abstandnahme Wettbewerbsverbot
Der Arbeitsvertrag enthielt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegen Zahlung einer Karenzentschädigung, das Arbeitsverhältnis endete zum 31.01.2016. Mit Schreiben vom 01.03. unter Fristsetzung zur Zahlung bis 04.03. forderte der ausgeschiedene Mitarbeiter Zahlung der Karenzentschädigung für Februar. Mit Email vom 08.03.2016 schrieb der Kläger: „bezugnehmend auf Ihre E-Mail vom 01.03.16 sowie das Telefonat mit Herrn B möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich ab sofort nicht mehr an da Wettbewerbsverbot gebunden fühle“. Mit der Klage forderte der ehemalige Mitarbeiter Karenzentschädigung für März und April 2016. Das BAG versagte ihm dies, da auch für Arbeitsverträge gelten die allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen über den Rücktritt gelten. Einen solchen Rücktritt stelle die Email vom 08.03.2018 dar. Damit sei der Arbeitgeber vom WV frei geworden. Der Einwand des Klägers, seine Email vom 08.03.2016 sei eine „Trotzreaktion“ gewesen half ihm dabei nicht. Grundsätzlich sehe zwar § 314 BGB vor, dass Dauerschuldverhältnisse nur aus wichtigem Grund gekündigt werden können, wenn keine vertragliche oder gesetzliche abweichende Regelung besteht. Eine solche Regelung gibt es nicht. Trotzdem bestehe kein ausnahmsloser „Anwendungsvorrang“ des § 314 BGB. Der Rücktritt sei daher nach Fristsetzung möglich und am 08.03.2016 erklärt. Damit bestand ab diesem Zeitpunkt kein Zahlungsanspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung mehr.
4. BAG v. 27.02.2018. Erhöhung Arbeitszeit § 9 TzBfG und Schadensersatz
Der mit 14 Std. je Woche tätige Lehrer zeigte sein Interesse an einer Erhöhung der Stundenzahl 2015 an, das Land stellte tatsächlich im neuen Schuljahr 2015/2016 mehrere Zusatzkräfte befristet ein, ohne auszuschreiben und ohne den Kläger zu informieren. Der Kläger begehrte eine Vertragsänderung, hilfsweise Schadensersatz. Der Kläger begehrte Schadensersatz, weil das Land seinen Stundenzahl-Erhöhungsanspruch vereitelt habe. Grundsätzlich bejaht das BAG unter Verweis auf seine Entscheidung vom 18.07.2017, dass ein Schadensersatzanspruch aus der Vereitelung des Vertragsschlusses folgen könne, dieser ist dann auf den Ausgleich zwischen der erzielbaren höheren Vergütung für die hypothetisch höherer Arbeitszeit und der tatsächlichen Vergütung gerichtet. (Anm. bisher liegen keine Entscheidungen zur Dauer des Ausgleichs vor – hieraus kann sich eine kostenintensive mehrjährige Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben). Das BAG konkretisiert mit dem Urteil aber, der AN habe konkret ein Vertragsangebot zur Erhöhung der Stundenzahl zu unterbreiten, nicht nur sein Interesse zu bekunden oder um Information zu Erhöhungsmöglichkeiten zu bitten. Diese Sichtweise des BAG ist befremdlich, hatte doch der AN mangels Information durch den Arbeitgeber gar keine Möglichkeit, ein konkretisiertes Angebot abzugeben. Dies gilt auch für die zweite Argumentationsschiene des BAG: der Lehrer habe sein Erhöhungsverlangen nicht auf eine befristete Erhöhung gerichtet – so wie das Land letztlich die weiteren Kräfte nur befristet einstellte.
5. BAG 11.04.18: Gehaltsreduzierung durch Betriebsvereinbarung?
Der Arbeitsvertrag aus 1992 sah eine Vergütung von monatlich „in der Gruppe BAT Vc/3 = DM 2.527,80 brutto“ vor. Das BAG sah hierin eine dynamische tarifliche Bindung an die jeweilige Tarifentwicklung. Primäre Frage war, ob eine später, in 1993 geschlossene Betriebsvereinbarung, welche auf ungünstigere, niedrigere tarifliche Vergütungsregelungen Bezug nahm, durchschlug. Das BAG verneinte das im Gegensatz zu den Vorinstanzen und sprach dem Kläger tarifliche Vergütung nach dem aktuellen TöVD als Nachfolge des BAT zu. Das BAG sprach der negativ verschlechternden BV die Wirksamkeit ab. Zudem stellte sich, auch wenn die BV wirksam wäre, hier nicht die Frage, ob der Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet sei oder nicht (und damit durch negative BV änderbar war). Dies komme nur bei AGB-mäßig vereinbarten Arbeitsvertragsklauseln in Frage, nicht aber, wie hier, bei einer individuell im Jahre 1992 getroffenen Vergütungsabrede.
6. LAG Schl-Holstein 21.3.2018: Verdachtskündigung – Anhörungsfrist
Geht der Arbeitgeber vom Begehen einer Straftat durch einen Mitarbeiter – häufig in Form von Eigentumsdelikten – aus, kann aber der Nachweis nicht hinreichend sicher geführt werden, bietet sich regelmäßig die hilfsweise Kündigung, gestützt auf den Verdacht des Begehens an. Im Regelfall muss die Schwere des Vorwurfs – selbst wenn die Kündigung als ordentliche Kündigung ausgesprochen wird – die Qualität des wichtigen Grundes, wie sonst für die außerordentliche Kündigung erforderlich, erreichen. Zwingende Voraussetzung ist die vorherige Anhörung des Mitarbeiters. Im Fall blieben dem Mitarbeiter zur Stellungnahme nur 2 volle Tage – zu kurz, wie das LAG befindet. Regelmäßig stellt das BAG auf das Ausreichen einer Frist von einer Woche ab. Das Fristenregime bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (grob: zwei Wochen ab Kenntnis) muss aber zusätzlich beachtet werden, die Fristen zur Betriebsratsbeteiligung sind ebenfalls zu berücksichtigen.
7. ArbG Chemnitz, 29.01.2018: Urlaubsgewähr – Widerspruch Unternehmen
Das Unternehmen ließ am Jahresanfang einen Urlaubsplan durch Eintragung in Kalender aufstellen, konkret sollte der Urlaub aber erst eine Woche vor Antritt durch den Mitarbeiter beim Abt.-Leiter eingereicht werden. Die Klägerin hatte für 21.08. bis 08.09. Urlaub in den Kalender eingetragen, war jedoch bis zum 25.08. krank und erschien am 28.08.2017 nicht zur Arbeit in der Annahme, Urlaub zu haben. Das Unternehmen kündigte, das ArbG hielt die Kündigung für unwirksam. Schon mangels Widerspruchs gegen den Kalendereintrag seitens des Unternehmens sei der Urlaub erteilt worden. Zudem sei die Frist zur Verbindlichstellung des Urlaubs von nur einer Woche vor Antritt zu kurz. Das ArbG hat bereits Zweifel, ob eine starre Frist zur Mitteilung des Urlaubswunsches überhaupt vereinbart werden kann, sehe doch § 7 Abs. 1 BUrlG vor, dass die „Wünsche des Arbeitsnehmers“ bei der Urlaubserteilung angemessen zu berücksichtigen seien. Jedenfalls aber müsse das Unternehmen binnen angemessener Frist der „Urlaubsgrobplanung“ des Arbeitnehmers widersprechen – hierfür hält das Arbeitsgericht eine Frist von 1 Monat für maßgeblich.