Newsletter Arbeitsrecht 2018 II
1. BAG 17.10.2018 – Vergütung von Reisezeiten
Im Streit standen die Flugreisezeiten des AN nach und von China, sie wurden lediglich mit 8 h je Reisetag vergütet, der AN verlangte auch die übrige Mehrreisezeit bezahlt auf Basis des geltenden Tarifvertrags. Das LAG sprach dies zu, das BAG bestätigte im Wesentlichen, verwies zur weiteren Aufklärung jedoch zurück. Abseits der in Frage stehenden tariflichen Regelung ist für nicht tarifgebundene AG vor allem interessant, ob eine Vergütungspflicht der Reisezeit aus § 612 BGB abgeleitet werden kann („Vergütung in Höhe der üblichen Vergütung“). Hierfür ist das Fehlen einer Vergütungsregelung und eine Vergütungserwartung des AN Voraussetzung. Hinzu kommt die Problematik, inwieweit für die Reisezeit Mehrarbeitszuschläge anfallen können. Solange die Urteilsgründe des BAG nicht vorliegen, ist eine abschließende Beurteilung des Entscheidungsinhalts nicht möglich. AG sind jedoch gut beraten, den Bestand einer abweichenden Vereinbarung im Betrieb zu prüfen und ggf. durch Abschluss entsprechender Vereinbarung Vorsorge zu treffen, welche zumindest das Einfallstor der Vergütungserwartung gem. § 612 BGB schließen.
2. BAG 25.04.2018: Vergütung für die Fahrt zum ersten Kunden
Thematisch ähnlich hatte das BAG zu beurteilen, inwieweit Reisezeit zum ersten Kunden des Tages vergütungspflichtig sei. Der Aufzugmonteur reiste direkt vom Wohnsitz zum Kunden an und abends zurück vom letzten Kunden. Der durch den Arbeitsvertrag in Bezug genommene Tarifvertrag sah im Nahbereich bis 80 km eine Pauschalzahlung für den Mehraufwand ohne Bemessung der Arbeitszeit vor, jedoch explizit auch: „eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht“. Das BAG konstatiert, dass mit den Fahrten zwar Arbeit geleistet werde, aber aufgrund vorstehender Tarifregelung die Zahlung einer gesonderten Vergütung hierfür ausgeschlossen sei. Zwar gehört die Anfahrt zum Kunden zu den wirtschaftlichen Hauptpflichten des Arbeitnehmers, weil die Anfahrt Teil des unternehmerischen Konzepts ist, in das der Monteur eingebunden ist. Deshalb komme es in dieser Konstellation nicht darauf an, ob die Anfahrt vom Betrieb aus oder unmittelbar vom Wohnsitz aus erfolge. Gleichwohl könne eine explizite vertragliche Regelung die Vergütung für diesen Teil der Arbeit ausschließen. Allerdings darf im Gesamtdurchschnitt) der Mindestlohn nicht unterschritten werden. Ist keine explizite oder hinreichend deutliche Regelung vorhanden, tendiert das BAG zur Gleichbehandlung von Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz und vergütungspflichtiger Arbeitszeit (vgl. BAG 26.10.2016).
3. BAG 19.09.2018. Zeitzuschläge bei Überstundenausgleich
Im Betrieb bestand eine Regelung zur Zuschlagszahlung für Nacht- Spät und Samstagsarbeit. Die Parteien stritten darüber, ob die Zuschläge auch zu zahlen sind, wenn die Mehrarbeit durch Freizeitausgleich kompensiert wird. Der Kläger meinte, die Entscheidung zum Freizeitausgleich werde allein durch das Unternehmen getroffen und ohne diese Freistellung hätte er schichtplanmäßig gearbeitet, er sei also leistungsbereit und es bestehe Annahmeverzug. Das BAG trat dem entgegen: es bestehe keine Pflicht zur Arbeitsleistung noch eine Beschäftigungspflicht seitens des Unternehmens. Annahmeverzug könne nicht entstehen während Zeiten, in denen der Mitarbeiter wegen des Abbaus von Mehrarbeit nicht arbeite. Während der Freistellung (Anm. z.B. auch wegen Urlaubs) wie hier zum Stundenabbau, sei dem Arbeitnehmer die Diensterbringung rechtlich unmöglich nach § 297 BGB. Es bestehe auch kein Anspruch auf Beschäftigung zu bestimmten, zuschlagspflichtigen Zeiten.
4. BAG 18.09.2018. Verfallklausel bei Mindestlohnbestandteilen
In den letzten Jahren sind divergierende Entscheidungen zur Frage ergangen, inwieweit eine AGB-rechtliche Unwirksamkeit für Ausschlussfristenklauseln drohe, sofern diese nicht explizit gesetzlich nicht abdingbare Ansprüche vom Verfall/ Ausschluss ausnehmen. Dies kann z.B. in Bezug auf Schadensfälle an der Gesundheit und für Vorsatzfälle relevant werden. Mit vorliegendem Urteil hat das BAG nun Klarheit geschaffen, dass Ausschlussklauseln welche nicht explizit Ansprüche auf Mindestlohn vom Verfall ausnehmen, vollunwirksam sind sofern der Vertrag ab dem 01.01.2015 geschlossen wurde. Aufgrund des Verbots geltungserhaltener Reduktion kommt auch keine Aufrechterhaltung der Klausel im Übrigen in Betracht. Die Verfallklausel läuft dann insgesamt ins Leere. Relevanz entfaltet diese neuerliche Konkretisierung der Rechtsprechung also auch für Arbeitsverhältnisse, welche deutlich besser dotiert sind und bei welchen die Mindestlohnthematik deshalb eigentlich keine Rolle spielt. Auch für diese Arbeitsverhältnisse greift bei ungenügender Formulierung die Vollunwirksamkeit der Klausel, so dass ein Ausschluss von Ansprüchen auch für diese, besser dotierten Arbeitsverhältnisse nicht in Betracht kommt.
5. BGH 11.10.2018: Scheinselbständigkeit – unwirksamer Vertrag?
Die zu wirtschaftlich „knappen“ Bedingungen über einen Franchisevertrag gebundene Lizenznehmerin wurde, mangels wirtschaftlicher Eigenständigkeit als Scheinselbständige, also als Beschäftigte im sozialversicherungsrechtlichen Sinne eingestuft. Sie machte nun Provisionsansprüche aus dem Franchisevertrag geltend – der Franchisegeber wandte ein, wegen Scheinselbständigkeit sei der Franchisevertrag gemäß § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) unwirksam. Dem widersprach der BGH: der Verstoß gegen die sozialversicherungsrechtlichen Beitragsvorschriften (Rentenversicherung etc.) führe nicht zur zivilrechtlichen Unwirksamkeit des Vertrags. Dies deshalb, weil es für die die Schutzregeln des KSchG oder §§ 28e SGB IV, 41a EStG etc. kraft Gesetzes Anwendung finden schon dann, wenn deren objektive Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen – unabhängig vom Bestehen eines Vertrags oder nicht.
6. BAG 25.09.2018: keine Schadenspauschale (40,00 EUR) bei Lohnverzug
Dem Wortlaut nach fällt die im novellierten § 288 Abs. 5 BGB vorgesehene Pauschale von 40,00 EUR auch bei nur einem Tag verspäteter Lohnzahlung an. Dem erteilte das BAG eine Absage unter Bezugnahme auf § 12a ArbGG, wonach in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht keine Erstattung von Beitreibungskosten stattfinde. Das BAG sieht diese Regelung auch auf vorprozessuale materielle Ansprüche erstreckt an, die geltend gemachten Pauschalen für 3 Monate von 120,00 EUR fielen nicht an.
7. EuGH vom 06.11.2018. Urlaubsabgeltung auch nach Tod
Das BAG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Urlaubsabgeltung auch nach dem Tod eines Arbeitnehmers zu zahlen sei. Nach BAG-Sichtweise sehe § 7 Abs. 4 BUrlG als allein kausale Voraussetzung des Entstehens eines Abgeltungsanspruchs die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der EuGH bleibt seiner Linie treu und versteht den Urlaubsanspruch nicht als reinen Erholungsanspruch sondern als Teil der Europäischen Sozialcharta. Die hieraus folgende Komponente „bezahlter“ Urlaub sei neben der zeitlichen Komponente relevant und erzwinge, auch wenn eine nationalstaatliche Regelung dies nicht vorsehe, eine Vergütung im Todesfall. Anm.: Wir hielten die über Jahrzehnte durch das BAG vorgenommene Anknüpfung an die Erholungsbedürftigkeit für den richtigen Weg – der EuGH hat diese, für den Urlaub sinnvoll anzusetzende Sichtweise letztlich durch eine Gleichstellung des Urlaubs mit einer Vergütungskomponente mit sich z.T. widersprechender Begründung ersetzt.
8. EuGH vom 06.11.2018. Urlaubsverfall mangels Urlaubsantrags
In zwei weiteren, durch das OVG Berlin und das BAG initiierten Vorlageverfahren hatte EuGH zu beantworten, ob Urlaub verfällt, wenn der Arbeitnehmer diesen nicht beantragt hat. Der EuGH knüpft zunächst daran an, dass die Urlaubsabgeltung dem Wortlaut der Richtlinie nach – so im Übrigen auch umgesetzt in § 7 Abs. 4 BUrlG - nur die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus setzt. Der EuGH präzisiert aber, dass die Umstände, weshalb der Urlaub noch nicht genommen sei, nicht völlig unbeachtet bleiben dürften. Denn der Arbeitnehmer sei die schwächere Vertragspartei, er könne aus diesem Grund von der Beantragung des Urlaubs abgehalten werden. Es müsse daher im Einzelfall geprüft werden, ob der Arbeitnehmer die Möglichkeit hatte, Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen um zu vermeiden, dass Anreize geschaffen werden, welche den der Sicherheit und Gesundheit dienenden Urlaub in einen Anspruch auf finanzielle Vergütung umwandeln (Anm. siehe vorstehende Entscheidung: bei Beendigungsfällen spielt dieses Argument – naturgemäß weil der Zeitpunkt des Ablebens im Regelfall nicht steuerbar ist – keine Rolle!). Der EuGH „balanciert“ die Interessenlage aus, indem er fordert, dass das Unternehmen dem Arbeitnehmer förmlich mitteilt, dass sein Urlaub verfalle, wenn er nicht zum Stichtag xy genommen sei. Die Beweislast liege beim Arbeitgeber, gelingt der Nachweis, kann der Urlaub verfallen sein, so das keine Abgeltung vorzunehmen ist.
Im zweiten Fall forderte das Unternehmen am 23.10.2013 auf, den Resturlaub bis zum Ablauf der Befristung vom 31.12.2013 noch zu nehmen. Der Mitarbeiter nahm nur zwei Tage und forderte bei Beendigung Urlaubsabgeltung für 51 Tage aus den Jahren 2012 und 2013 i.H.v. 11.800 EUR. Das BAG ging nach Deutschem Recht vom Verfall jeweils zum 31.12. aus. Auch mit Bezug auf 2013 sei der Urlaub nicht „wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen“ sondern schlicht durch Zeitablauf verfallen. Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der EU-Richtlinie auf Privatrechtsarbeitsverhältnisse müsse das BAG nun durch Auslegung ermitteln, ob die Regelung des § 7 Abs. 4 BUrlG EU-konform interpretiert werden kann. Auch insofern macht der EuGH aber die Vorgabe, dass der Arbeitgeber „vollständig transparent“ über den möglichen Verlust der Ansprüche zu informieren habe. Dem dürfte – so unsere Prognose – ein Hinweis am 23. Oktober, den Resturlaub zu nehmen, kaum genügen.