NEWSLETTER-ARBEITSRECHT-2022-I

1. BAG 01.06.2022 – Anordnung Corona-Testpflicht

Die Mitarbeiterin weigerte sich, die vom AG bezahlten PCR-Tests im Zeitraum 2020 zu erbringen als Voraussetzung für die Erbringung der Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber stellte die Gehaltszahlungen ein, die Klägerin verlangte Zahlung für die Zeiträume aus Annahmeverzug. Das BAG versagte dies wie die Vorinstanzen. Auf Grundlage des § 618 BGB bestehe eine Verpflichtung des Arbeitgebers zum betrieblichen Gesundheitsschutz aller Mitarbeiter, entsprechende Maßnahmen könne er auf Basis des Direktionsrechts gem. § 106 GewO umsetzen. Dies hatte der AG durch sein betriebliches Hygienekonzept getan. Das BAG hielt die Durchführung von PCR-Test als im Rahmen des billigen Ermessens des § 106 GewO angesichts des minimalen körperlichen Eingriffs. Da auch eventuelle positive Testergebnisse im Rahmen der Meldepflicht weitergemeldet werden müssen, sei auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht unzulässig beeinträchtigt. Die Nichtzahlung der Vergütung angesichts der Weigerung erwies sich damit als rechtmäßig.

2. BAG 02.06.2022 – Kündigung Schwerbehinderter ohne I-Amt, Entschädigung nach AGG

Der Kläger war nicht formell als Schwerbehinderter anerkannt, er hatte zum Zeitpunkt der Kündigung auch noch keinen Antrag auf Anerkennung gestellt. Die Kündigung ihm gegenüber erfolgte ohne Beteiligung des Integrationsamts. Im Kündigungsschutzrechtsstreit verglich man sich vor dem Arbeitsgericht. Umso erstaunlicher nutzte der Kläger die (insoweit mutmaßlich unzureichende) Formulierung des Vergleichs und klagte nachfolgend eine Entschädigung nach § 15 AGG ein, weil er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sie. Er stütze dies auf eine durch ihn behauptete Offenkundigkeit der Schwerbehinderung (Lähmung nach Schlaganfall). Dem folgten die Gerichte nicht, weil aus den gesundheitlichen Beeinträchtigungen keine Offenkundigkeit einer bestehenden Schwerbehinderung zu schließen gewesen sei zum Zeitpunkt der Kündigung. Jedoch betont das BAG, wenn auch nicht fallentscheidend:  Die Verletzung der Schutzvorschriften für Schwerbehinderte nach § 168 SGB IX können die Vermutungswirkung des § 22 AGG hinsichtlich einer Ungleichbehandlung auslösen. Hierzu gehört auch der Nichteinbezug des Integrationsamts dort, wo die Schwerbehinderung bekannt bzw. offenkundig ist. Liegt ein solcher Fall vor, wird der Arbeitgeber den Gegenbeweis gegen die Vermutung des § 22 AGG nur schwer erbringen können, um der Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern zu entgehen. Eine Kündigung ohne I-Amtsbeteiligung „ins Blaue hinein“ verbietet sich damit auch aus diesem Grund bei Kenntnis oder Offenkundigkeit des Vorliegens einer Schwerbehinderung.

3. LAG Thüringen 03.05.2022: ordentliche Kündigung Raucherpausen

Die seit 30 Jahren beschäftigte Mitarbeiterin stempelte nicht aus, während sie Raucherpausen in Anspruch nahm. Eine Nachprüfung des Buchungsjournals ergab, dass sie für drei Tage keine einzige Pause sondern nur Anfang und Ende der Arbeitszeit erfasst hatte. Die Mitarbeiterin räumte in der Anhörung vor ordentlicher Kündigung ein, es könne sein, dass sie Raucherpausen nicht erfasst hätte, sie ändere dies ab sofort und schreibe jede derartige Arbeitszeitunterbrechung minutiös auf. Dies half ihr nicht. Beide Instanzen hielten die Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs für wirksam.

Selbst bei langer Beschäftigungsdauer ist nämlich dem Arbeitgeber nicht zumutbar, durch das Nichterfassen von Pausenzeiten betrogen zu werden. Der Arbeitgeber räume durch die Selbsterfassung der Arbeitszeit einen Vertrauensvorschuss ein, diesen habe die Klägerin missbraucht.  Aus diesem Grund bedürfe es auch keiner Abmahnung.

Anmerkung: Wie immer entscheidet die Wichtung und Wertung im Einzelfall, einen generalisierenden Maßstab vermögen wir der Entscheidung nicht zu entnehmen, gerade angesichts 30jähriger Betriebszugehörigkeit wäre unseres Erachtens nach eine vorheriges Abmahnerfordernis ebenfalls vertretbar gewesen.

4. BAG v. 16.06.2022: Rückzahlung Arbeitgeberdarlehen

Der Mitarbeiter einer Airline erhielt ein Arbeitgeberdarlehen über ca. 20.000 EUR, welches in Raten rückzahlbar war. Hintergrund war die Beteiligung des Arbeitnehmers an der durch den Arbeitgeber im Übrigen finanzierten Ausbildung zum Co-Piloten für einen A 320 Family. Der Mitarbeiter verweigerte die Rückzahlung im überwiegenden Umfang mit dem Argument, die vertragliche Gestaltung sehe nicht vor, dass er die Raten durch Betriebstreue mindern könne. Die Gerichte einschließlich des BAG maßen das Vertragswerk am AGB-Recht, das LAG hielt die Rückzahlungsklausel für unangemessen nach § 307 BGB.  Dem widersprach das BAG. Grundsätzlich sei die unbedingte Beteiligung des Mitarbeiters an Ausbildungskosten zulässig. Im Gegensatz zu den üblichen Rückzahlungsklauseln, in welchen der Arbeitnehmer mehr zurück zahlen muss, wenn er das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer Bindefrist verlässt, entstehe in der vorliegenden Situation kein „Bleibedruck“, weil eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses eben keine Auswirkungen auf die Höhe der Rückzahlungsverpflichtung hat. Auch führe der Umstand, dass der Rückzahlungsbetrag im Verhältnis der monatlichen Rate nicht exakt aufgehe nicht zur Intransparenz der Klausel – der Restrückzahlungsbetrag sei unproblematisch ermittelbar. § 14 BBiG finde zudem auf die vorliegende Fortbildungsvereinbarung keine Anwendung. Ob die konkrete Höhe der Kostenbeteiligung von 20.000 EUR zumutbar war, hängt von dem Vorteil ab, den der Arbeitnehmer durch die Kursteilnahme persönlich erwarb und den er zu einem neuen Arbeitgeber „mitnehmen“ könne. Diese Fragestellung wird da LAG im Wege der Zurückverweisung zu prüfen haben.

5. Arbeitsgericht Gera v. 8.3.2022 – Unterlassung Abwerbung
Das Arbeitsgericht hatte im einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Anspruch des Unternehmens auf Unterlassung der Abwerbung von Mitarbeitern gegen einen, aus dem Unternehmen ausgeschiedenen Regionalleiter zu befinden. Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Geschäftsführers verließ auch der Regionalleiter das Unternehmen und heuerte beim neuen Unternehmen des vormaligen Geschäftsführers an. Beim Altunternehmen gingen über 12 Kündigungen von Mitarbeiter, welche das Unternehmen als Leiharbeitnehmer verlieh, im zeitlichen Zusammenhang ein. Das Unternahmen warf dem Regionalleiter das Nutzen unternehmensinterner Daten zur Abwerbung vor und verlangte Unterlassung. Das Arbeitsgericht sah jedoch keinen Anspruch nach § 6 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen als gegeben an. Zwar sind gesammelte Daten über Adressen und Telefonnummern der verwalteten Leiharbeitnehmer geschütztes Geschäftsgeheimnis. Jedoch sei die Verwendung dieser Daten nicht hinreichend vorgetragen. Allein aus der Kündigung von 12 Leiharbeitnehmern ließe sich das nicht herleiten, eine Einflussnahme sei nicht belegt. Zum Zeitpunkt dieser Kündigungen war der Antragsgegner als Regionalleiter noch befugt, auf die gesammelten Arbeitnehmerdaten der Antragstellerin zuzugreifen. Selbst wenn der Vortrag der Antragstellerin zuträfe, der Regionalleiter habe seine Eigenkündigung den Leiharbeitnehmern kundgetan ebenso wie seinen Wechsel zur Konkurrenz und er nicht wisse, wie es mit der Filiale des Altarbeitgebers weitergehe, stellen diese Äußerungen für sich keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar, weil sie nicht gegenüber den kündigenden Leiharbeitnehmern erfolgt sei. Es verbleibt mit Spannung abzuwarten, wie die Berufungsinstanz in Erfurt bei vertieftem Vortrag der Verfügungsklägerin entscheidet.

 

6. LAG Niedersachsen 17.05.2022: Kürzung Urlaub bei Elternzeit

§ 17 BEEG sieht die Möglichkeit der anteiligen Kürzung von Erholungsurlaub für jeden Monat der Inanspruchnahme von Elternzeit vor. Der Arbeitsvertrag nahm auf § 26 Abs. 2c TÖVD Bezug, welcher regelt: „ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs…für jeden Monat um 1/12“. Die Formulierung geht also von einer automatischen Reduktion aus. Die Klägerin verlangte Urlaub für 2017-2019 nachträglich abgegolten. Der Arbeitgeber stützte sich auf die in Bezug genommene Tarifnorm. Das LAG hielt dies nicht für zutreffend. Mangels Kürzungserklärung nach § 17 BEEG sei der Urlaub nicht gekürzt worden. Der Automatismus des Tarifs weiche von der gesetzlichen Konzeption ab. Denn die Regelungen des Mindesturlaubs nach §§ 1,3 BUrlG seien selbst durch Tarifvertrag nicht abdingbar. Wenn die „Vorauserklärung“ des Automatismus in § 26 Abs. 2c TÖVD also schon von vorn herein die Kürzung für die Zeiten von Elternzeit bewirken wolle, verstieße dies gegen die klare gesetzliche Unabdingbarkeit.

Anmerkung: Konsequent ist auch die häufige Erklärung im Arbeitsvertragsmuster, „bei Elternzeit kürzt sich der Anspruch auf Urlaub um ½ je vollem Monat“, rechtlich nicht haltbar.

 

7. Umsetzung Arbeitsbedingungsrichtlinie der EU – 01.08.2022

Die Bundesregierung hat vorstehende Richtlinie aus 2019 umzusetzen. Wesentliche Bestimmungen sollen zum 01.08.2022 in Kraft treten. Dies betrifft umfassende Ergänzungen des Nachweises der Arbeitsbedingungen nach Nachweisgesetz. Arbeitsverhältnisse, die schon vor dem 01.08.2022 bestehen, können den Nachweis der für das Arbeitsverhältnis geltenden Bestimmungen nachträglich verlangen, der Nichtnachweis bzw. nicht vollständige Nachweis ist mit Bußgeld verfolgbar (bis 2.000 EUR). Nachweispflichtig sind z.B. künftig auch das einzuhaltende Kündigungsverfahren und die einschlägigen Kündigungsfristen, was gerade bei Arbeitsverhältnissen mit verschiedenen Ausfertigungen des Arbeitsvertrags und vom Gesetz abweichenden Kündigungsfristen wünschenswert, aber auch mit entsprechenden Feststellungsaufwand des Unternehmens verbunden sein dürfte (z.B. 3 Monate zum Quartal lt. Vertrag bei bestehendem 10 jährigem Arbeitsverhältnis und damit gesetzlich 4 Monate Kündigungsfrist….etc.). Weiter Änderungen betreffen das BBiG und das Teilzeitrecht. Beispielsweise muss bei befristetem Arbeitsvertrag die Probezeit im angemessenen Verhältnis zur vorgesehenen Befristungsdauer stehen. Es ist vorherzusehen, dass eine 6 monatige Probezeit wie nach § 622 BGB regelmäßig zulässig, künftig für ein befristetes Arbeitsverhältnis von nur 12 Monaten Dauer nicht in mehr in Frage kommen wird. Folge wird, jedenfalls bei formularmäßiger Verwendung des Arbeitsvertrags, mit großer Wahrscheinlichkeit die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung sein mit der Folge, dass auch in den ersten Monaten keine Kündigung mit Zwei-Wochenfrist zum beliebigen Termin stattfindet.

Wir werden nach Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht die Neuerungen innerhalb unserer Update-Arbeitsrechtsveranstaltungen 21./22.09.2022 konkreter besprechen (Termine www.heinze-legal-coaching.de).

8. Arbeitsgericht Bonn 18.05.2022 – Einrichtungsbezogene Impfpflicht

Der weder geimpfte noch genesene Azubi erhielt – aus anderem Grund – eine Kündigung und verlangte wegen deren Unwirksamkeit Annahmeverzugslohn. Die Klinik hielt entgegen, es bestünde mangels Vorlage der entsprechenden Nachweise seit 15.03.2022 aufgrund einrichtungsbezogener Impfpflicht nach § 20a Abs. IfSG ein Beschäftigungsverbot, welches einen Annahmeverzugslohnanspruch ausschlösse. Dem widersprach das Arbeitsgericht. Die gesetzliche Regelung normiere in § 20a Abs. 3 IfSG lediglich für ab 16.03.2022 neu eingetretene Mitarbeiter ein Beschäftigungsverbot, für „Altgediente“ bestünde nur eine Meldepflicht an das Gesundheitsamt bei Nichtvorlage der entsprechenden Nachweise, grundsätzlich also die Möglichkeit zu arbeiten vorbehaltlich eines Betretungsverbots seitens des Gesundheitsamts.

Gern können Sie sich zu unseren Veranstaltungen Update Arbeitsrecht am 21.09. und 22.09. über www.heinze-legal-coaching.de anmelden.