Newsletter Arbeitsrecht 2024

1. ArbG München, 11.07.2024, „Weihnachtsgeld“ trotz Kündigung

Der Arbeitsvertrag sah die Zahlung einer Sonderzahlung unter Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag vor, der MTV regelte: „…erhalten im letzten Quartal des Kalenderjahres eine Sonderzahlung von 80 % des Bruttomonatsgehalts, sofern das Arbeitsverhältnis nicht im Auszahlungszeitpunkt gekündigt ist, außer im Falle betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung…“. Die Klägerin kündigte am 26.09. zum 31.12.2023. Die textliche Voraussetzung zum Ausschluss von der Sonderzahlung lag also vor. Das ArbG sprach die Sonderzahlung trotzdem zu. Zwar seien Regelungen in Tarifverträgen privilegiert in ihrer Ausgestaltbarkeit, eine Überprüfung solcher Regelungen finde nach AGB Recht gem. § 310 BGB nicht statt. Jedoch sei diese Privilegierung aufgehoben, wenn nur einzelne tarifliche Regelungen in Bezug genommen werden und nicht das tarifliche Gesamtwerk. So lag der Fall, das Arbeitsgericht unterzog deshalb die tarifliche Regelung der AGB Kontrolle und befand, die Sonderzahlung habe einen Mischcharakter, also nicht lediglich einen Treue- und Motivationseffekt (Gratifikation) sondern auch die Entlohnung für geleistete Arbeit als Gegenstand (Entgelt), letzteres kann nicht in der Auszahlung durch AGB (Arbeitsvertrag) davon abhängig gemacht werden, ob das Arbeitsverhältnis gekündigt sei oder nicht.

Dieser Sicht wiese ist uneingeschränkt zuzustimmen. Wir klagen gegenwärtig vor dem LAG Nürnberg in einem ähnlichen Fall zur Frage der Überprüfbarkeit von in Bezug genommenen tariflichen Regelungen nach AGB-Recht mit dem Ziel der Klärung dieser Frage durch das BAG.

2.) LAG Berlin/Brandenburg, 05.07.2024, Handballspielen - AUB/ Beweiswert

Der Kläger legte eine AUB ab 27.10.2022 vor bis 10.11. verlängert über Folgebescheinigung bis 30.11. Er erhielt Entgeltfortzahlung. Im Nachhinein stellte sich eine Freizeitaktivität durch Teilnahme an einem Handballspiel am 09.11. als Spieler und 19.11. als Schiedsrichter heraus. Weil das Unternehmen mit dieser Basis den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für erschüttert hielt, forderte es geleistete Entgeltfortzahlung mit der Klage zurück. Abweichend von der ersten Instanz hielt das LAG Berlin/Brandenburg den Beweiswert für erschüttert und gab der Klage statt. Weil der Mitarbeiter nicht zu den konkreten Umständen der Erkrankung vorgetragen habe, gelte der Vortrag des Unternehmens zur Erschütterung des Beweiswertes als zugestanden. Das LAG suchte hiermit die Lösung des Falles auf prozessualem Wege. Das ist zutreffend, denn das Unternehmen kann im Rückforderungsprozess konkrete Krankheitsumstände nur widerlegen, wenn es hierrüber Kenntnis, sei es durch den Prozessvortrag des Mitarbeiters oder auf anderem Wege, hat. Denn zur Verpflichtung konkreten Prozessvortrags nach § 138 Abs. 2 ZPO gehört der Vortrag, warum der Mitarbeiter entschuldigt gefehlt habe. Im Regelfall kann dieser über den hohen Beweiswert der AUB abgekürzt werden. Jedenfalls dann, wenn der Beweiswert der AUB erschüttert ist, so wie hier aufgrund Indizien gegen eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der konkreten Sportaktivitäten in der Freizeit – wettkampfmäßiges Handballspielen setze ein robuster körperliche Verfassung voraus – hat der Mitarbeiter mehr vorzutragen. Hinzu kam hier die Entsprechung der Dauer der AU zur Kündigungsfrist und die Abweichung des behandelnden Arztes von der Regel, nicht länger als 14 Krankschreibung vorzunehmen. Mangels Entgegentreten gegen diese die Erschütterung der AUB bewirkenden Indizien seitens des Mitarbeiters galt der Vortrag des Unternehmens als zugestanden und damit als alleinig maßgeblicher Prozessvortrag.

3. BAG 23.04.2024, Körperreinigung - vergütungspflichte Arbeitszeit?

Ein Containermechaniker, welcher infolge Schleifarbeiten während der Arbeitszeit erheblich körperlich verschmutze machte 55 min. je Arbeitstag als vergütungspflichtige Arbeitszeit für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten geltend, über die Jahre 2017 – April 2022 kumuliert mit einem Zahlungsantrag über 25.254 EUR. Das BAG sieht durch aus eine Vergütungspflicht als denkbar an nach § 611a Abs. 2 BGB. Zwar sei, so die Beklagte, das Duschen  weder angewiesen noch aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich. Das BAG knüpft differenzierter daran an, in welchem Grad das Duschen mit der eigentlichen Arbeitsleistung verknüpft ist. Dies kann gegeben sein, sofern sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung z.B. so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause - sei es durch Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs oder des eigenen Fahrzeugs - ohne eine vorherige Reinigung des Körpers nicht möglich erscheint und damit der Gesamtvorgang - arbeiten und duschen - deshalb fremdnützig ist. Nicht jede im Verlauf eines Arbeitstags auftretende Verschmutzung „erfordert“ damit ein Duschen, das in unmittelbarem Zusammenhang mit den vom Arbeitgeber zugewiesenen Tätigkeiten steht. Das BAG differenziert olfaktorisch feinsinnig: das Waschen zur Beseitigung üblicher Verunreinigung und Körpergeruchsbildung dient der Befriedigung privater Bedürfnisse; es ist nicht ausschließlich fremdnützig und damit nicht vergütungspflichtig. Darüber hinausgehende Verunreinigung einschließlich olfaktorische Belästigung haben den erforderlichen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung, so z.B. wenn der Arbeitnehmer sehr stark schmutzende Tätigkeiten oder Arbeiten mit stark geruchsbelästigenden Stoffen ausübt, er bei seiner Tätigkeit eine körpergroßflächige persönliche Schutzausrüstung trägt oder er Tätigkeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen oder bei Nässe verrichtet. Hier wäre die Duschzeit vergütungspflichtig.
Um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt es sich zudem dann bei dem An- und Ablegen einer  vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung. Das Umkleiden ist in diesem Fall ausschließlich fremdnützig. Auch die Wegezeiten vom Werktor zur Umkleide und zur Dusche und zurück erkennt das BAG als vergütungspflichtig an, penibel hatte das LAG die 40 m Wegstrecke von der Umkleide zum Arbeitsplatz und zurück mit 1 min. Wegzeit geschätzt. Denn der Kläger hatte nicht die Möglichkeit, die Arbeitskleidung am Arbeitsplatz an- und abzulegen, sondern muss dafür den räumlich getrennten Umkleideraum aufsuchen.