Newsletter corporate 2019 I

1. INTERNATIONALES HANDELSRECHT u. VERTRAGSRECHT

1.1. US Supreme Court, Jan 8, 2019, Henry Schein v. Archer: Schiedsabrede – Intervention staatlicher US – Gerichte – Federal Arbitration Act

Gegenstand war die – auch in Europa in den letzten Jahren häufig thematisierte Problematik, ob eine Schiedsvereinbarung durch ein vorher angerufenes Gericht als nicht anwendbar eingeordnet werden darf mit der Folge, dass das staatliche Gericht quasi im „short-cut“ die Unzuständigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit ausspricht und den Fall direktentgegen der vertraglichen Schiedsabrede - entscheidet. Einige Berufungsgerichte der US-Circuits verfahren so, sofern sie eine wholly groundless exception vorliegen sehen. Damit nehmen sie dem Schiedsgericht die eigene Zuständigkeitsprüfungskompetenz, konsequent widersprach, im Gegensatz zu beiden Vorinstanzen, das US Supreme Court.

Archer klagte vor staatlichem Gericht gegen den Nachfolger seines vormaligen Prinzipals, Hersteller von Dentalprodukten, dessen Produkte Archer vertrieben hatte. Die Vereinbarung enthielt eine Schiedsklausel: “Any dispute arising under or related to this Agreement (except for actions seeking injunctive relief and disputes related to trademarks, trade secrets, or other intellectual property of [Schein]), shall be resolved by binding arbitration in accordance with the arbitration rules of the AAA”.

Schein wandte den Vorrang des vereinbarten Schiedsverfahrens ein, Archer widersprach, da er auch einstweiligen Rechtsschutz (Injunctive Relief) suchte. Streitbefangen war, wer über die Zuständigkeit für den restlichen Streit vorab zu entscheiden hatte – staatliches Gericht oder Schiedsgericht. Das USC negierte die Existenz einer wholly groundless exception, ein solcher Vorbehalt sei dem Federal Arbitration Act fremd. Da die in Bezug genommenen AAA-Schiedsregeln die Entscheidung über die Zuständigkeit dem Schiedsgericht zuweisen, habe das stattliche Gericht dies zu respektieren. Dies sei eine Frage des Vertragsrechts (Schiedsklausel) und vom Gericht entsprechend hinzunehmen.

Die Entscheidung stärkt damit einmal mehr die – im internationalen Handel regelmäßig zu bevorzugende - Zuweisung eines Streitverhältnisses zur Schiedsgerichtsbarkeit (letztlich enforcement der Schiedsklausel), indem es die gerichtliche Intervention in das vereinbarte Schiedsprocedere untersagt.

 

1.2. US Supreme Court, Jan 15, 2019, New Prime v. Oliveira: Schiedsvereinbarung – Schiedsfähigkeit des Streitverhältnisses nach FAA

In diesem Streitfall hatten die Parteien (Transportunternehmen - Subunternehmer (Trucker)) eine Schiedsvereinbarung aufgenommen. Oliveira verlangte dem entgegen vor dem staatlichen Gericht eine angemessene gesetzliche Vergütung, New Prime wandte den Vorrang der Schiedsabrede ein, worauf das Gericht das staatliche Gerichtsverfahren zu stoppen habe und allein das Schiedsgericht vorab über seine Zuständigkeit zu befinden habe. Nicht so hier, so das SC, denn § 1 Federal Arbitration Act nehme „contracts of employment of … railroad employees“ von der Anwendbarkeit des Acts aus. Das SC gestand dem staatlichem Gericht eine - wir möchten es VOR-VOR-Prüfungskompetenz nennen - zu, ob der konkrete Fall überhaupt unter den FAA falle. Dies sei nicht gegeben, wegen der in § 1 FAA enthaltenen Ausschlussklausel (hier Subunternehmer als employee angesehen). Deshalb das Gericht auch keine Möglichkeit, das Schiedsverfahren zu erzwingen.

Anmerkung 1: Sofern, wie in Henry Schein v. Archer der Fall der grundsätzlichen Anwendbarkeit des FAA unterfallen wäre, hätte das Gericht das staatliche Gerichtsverfahren stoppen müssen aufgrund der nunmehr einschlägigen VOR-Prüfungskompetenz des Schiedsgerichts. Das Schiedsgericht selbst hätte dann über seine eigene Zuständigkeit (z.B. Prüfung des Vorliegens einer wirksamen Schiedsabrede) entscheiden müssen.
Anmerkung 2: Käme das Schiedsgericht im weiteren Schritt zum Ergebnis, es bestünde keine Schiedszuständigkeit (z.B. wegen unwirksamer Schiedsabrede) ginge der Prozess beim ursprünglich angerufenen staatlichen Gericht weiter.

 

2. LIZENZRECHT – WETTBEWERBSRECHT - URHEBERRECHT

BGH 07.03.2019: UWG – Behauptung, die Konkurrenz stelle ihre Produkte unter Verletzung von Betriebsgeheimnissen her

Die Klägerin klagte auf Unterlassung der in 2014 lancierten Behauptung, die Klägerin habe ihre Produkte (Knochenzement) unter Verletzung der Betriebsgeheimnisse der Beklagten auf den Markt gebracht. Klägerin und Beklagte hatten die gemeinsamen Aktivitäten in 2005 getrennt und prozessierten seitdem rege. Der Klägerin war durch das OLG FFM (6 U 15/13) untersagt worden, ihre Knochenzemente unter Verwertung von Spezifikationen bestimmter Inhaltsstoffe, die das OLG als Betriebsgeheimnisse der Beklagten angesehen hat, herzustellen und zu vertreiben. Die Klägerin änderte darauf die seither angebotenen Produkte. Die Klägerin stützte ihren aktuellen Unterlassungsantrag auf § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG, unlautere Herabsetzung eines Wettbewerbers.

Die Vorinstanzen hatten dem Unterlassungsantrag der Klägerin (bzgl. Behauptung) stattgegeben, der BGH hob auf und wies die Klage ab. Im Rahmen der vergleichenden Werbung sei sachliche Erörterung von pauschaler Abwertung von Produkten abzugrenzen. Eine unsachliche, abwertende Darstellung vermochte der BGH in der Pressemitteilung der Beklagten, welche insbesondere die Entscheidungsgründe des OLG zitierte, nicht zu erkennen. Auch die Voraussetzung, die vergleichende Werbung müsse dem Werbenden für die eigene Position zumindest nützlich sein, ist erfüllt. Der informierte Verkehr (gewerbliche Abnehmer des Knochenzements) benötige die konkrete Information für eine sachgerechte Nachfrageentscheidung. Gerade im sicherheitsrelevanten Medizintechnikbereich sei für die Nachfrage auch von Relevanz ob ein Anbieter (hier Klägerin) ihre Produkte aufgrund eigener Leistungsfähigkeit angeboten habe oder nicht.

 

3. GESELLSCHAFtSRECHT / STEUERRECHT

3.1. OLG Brandenburg 19.12.2018: 2-Personen-GmbH, einstw. Verfügung Unterlassung Geschäftsführeramtsausübung

Die Gesellschafter waren zu je 50 % beteiligt, einer der beiden zum Geschäftsführer berufen. Das Verhältnis war angespannt. Der Verfügungskläger berief den Geschäftsführer mit seinen Stimmen vom Amt ab, der Beschluss wurde gerichtlich durch den Abberufenen angefochten. Der Kläger verfolgte die zeitweise Sicherung der Abberufung durch einstweiliges Verfügungsverfahren, gerichtet auf Untersagung der Fortsetzung der Ausübung des Geschäftsführeramts. Das OLG gab dem nicht statt mangels wirksamen Abberufungsbeschlusses. Der Kläger sei als 50 % Gesellschafter nur dann nach § 50 Abs. 2 GmbHG berechtigt, selbst einzuladen, sofern die Geschäftsführung eine Einladung nach Anforderung nicht ausbringt. Zwar lud der damals noch nicht abberufende Geschäftsführer nicht ein. Jedoch verband der Kläger sein Einberufungsverlangen nach § 50 Abs. 2 GmbHG sogleich mit einer konkreten Einladung für den 26.02.2018. Diese Versammlung hielt der Kläger sodann auch, ohne Mitwirkung des beklagten Geschäftsführers, ab. Diese Versammlung basiert nicht auf ordnungsgemäßer Einladung. Der Gesellschafter darf nämlich erst dann selbst einladen, wenn der Geschäftsführer seinem Einladungsverlangen nicht entsprach – nicht früher, so wie hier geschehen. Mangels ordnungsgemäßer Einladung ist der Abberufungsbeschluss als nichtig anzusehen, eine Unterlassung der Fortsetzung der Ausübung des Geschäftsführeramtes durch den Beklagten war daher nicht veranlasst. Das weitere, durch das OLG herausgestellte Argument, der Kläger hätte sein Einberufungsverlangen auch begründen müssen, warum eine Versammlung eilbedürftig sei, halten wir für fragwürdig.

 

3.2. BGH 06.11.2018: Haftung bei Ressortzuständigkeitsteilung zwischen GmbH-GF

Der Geschäftsführer, zuständig für den künstlerischen Ressortbereich der GmbH, wird in Anspruch genommen für eine Überschuldung der Gesellschaft. Er wendet die Ressortaufteilung ein und verweist wegen der Haftung auf den kaufmännischen Geschäftsführer, das OLG folgte dem. Nicht so der BGH: Die Insolvenzantragspflicht nach § 64 GmbHG unterliege, wie zahlreiche weitere Pflichten, der Gesamtverantwortung der Geschäftsführer. Der GF müsse zu seiner Entlastung erläutern, was ihn gehindert habe, die Verletzungshandlung zu erkennen, hier die bestehende Insolvenzreife. Denn er müsse für eine Organisation sorgen, die ihm die erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche Situation jederzeit laufend ermöglicht. Eine Pflicht des zuständigen GF zur Unterrichtung der übrigen GF bleibt unbeschadet bestehen. An entsprechendem Vortrag fehlte es hier, blindes Vertrauen des Nichtkaufmanns genügt nicht. Der BGH bemängelt, das OLG habe nur die Überprüfung des Kontostandes durch den nunmehr beklagten „Künstler“-GF herangezogen – hieran hätte jener die Schieflage nicht erkennen können, weil der „Kaufmann“-GF ständig einen Verbindlichkeitenstand vor sich herschob, welcher am Bankkonto so nicht feststellbar gewesen sei. Dies greife zu kurz, weil über Prüfung von Bankkontoständen allein die wirtschaftliche Lage der GmbH nicht zu erfassen sei. Auch die Annahme des OLG, wöchentliche Besprechungen der beiden GF genügten, wenn keine Anhaltspunkte für den Künstler-GF bestünden, vertieft zu kontrollieren, nimmt der BGH nicht hin. Dies vor allem, weil Informationen vom anderen GF lediglich ein Vermitteln dessen Kenntnis ist und keine unabhängige Kontrolle seitens des Künstler-GF. Mit dem Urteil liegt eine neuerliche Präzisierung der Gesamtverantwortung der GF vor.

 

3.3. BGH 20.11.2018: Gesellschafterliste und Einziehung – Stimmrechte

Der vormalige Minderheitsgesellschafter von 49 % W. zog einen Anteil eines der Mitgesellschafter wirksam ein, die in einer späterer Gesellschafterversammlung vorgenommene Beschlussfassung focht ein Mitgesellschafter (ein Teil seiner Anteile war wirksam eingezogen) an, weil er ausweislich der beim Handelsregister hinterlegten Gesellschafterliste der GmbH noch als Mehrheitsgesellschafter geführt sei, eine geänderte Liste war bei Beschlussfassung noch nicht zum HR eingereicht. Der BGH bekennt sich zur, nach MoMiG aufgewerteten Liste, wonach gem. § 16 GmbHG unabhängig von der materiellen Berechtigung die auf der Liste geführten Gesellschafter als solche gelten, mithin auch stimmberechtigt sind. Die Beschlussfassung sei deshalb fehlerhaft erfolgt. Eine Treupflichtverletzung aufgrund Kenntnis des Klägers von der Änderung der tatsächlichen materiellen Rechtslage zur Gesellschafterstellung sieht der BGH nicht. Die Entscheidung macht einmal mehr die Bedeutung der zeitnahen Korrektur der Gesellschafterliste, ggf. auch im einstweiligen Verfügungsverfahren durch Widerspruch zur Liste deutlich.

 

3.4. OLG Köln 24.08.2018: Zustandsbegründende Durchbrechung GmbH-Satzung

Satzungsänderungen bedürfen der notariellen Form und nach § 54 GmbHG der Eintragung unter Nachweis der Änderungen des Satzungswortlauts. Die GmbH-Satzung enthielt eine Regelung zur Kündigung mit einer Frist von einem Jahr. Die Gesellschafter beurkundeten notariell einen Beschluss, dass „allen aktuellen Gesellschaftern abweichend von der Satzung ein sechsmonatiges Kündigungsrecht zum Halbjahr zustehen solle. Dieser Beschluss wurde als „satzungsdurchbrechend“ zum Handelsregister angemeldet, die Eintragung durch dieses jedoch abgelehnt. Zu Recht, wie das OLG feststellte. Es sei für bindende Satzungsinhalte außerhalb der Satzung zu unterscheiden zwischen punktuellen Durchbrechungen und zum anderen zustandsbegründenden Satzungsänderungen. Für erstgenannte ist der durch die Beschwerdeführer gewählte Weg gangbar, für zweite nicht. Mit anderen Worten bedürfen Satzungsabweichungen, welche zustandsbegründende Wirkung haben (hier dauerhafte Einführung einer kürzeren Kündigungsfrist), der Einhaltung der formalen Satzungsänderungsregeln. Hintergrund ist die Satzungspublizität, gemäß BGH aus 1993 die „vollständige Information des Rechtsverkehrs über die Verhältnisse der Gesellschaft.“ Die Entscheidung liegt damit im Einklang mit der langjährigen Rechtsprechung. Ein viel gravierenderes Problem ergibt sich nach unseren Erfahrungen jedoch daraus, dass in der Praxis häufig gar nicht gesehen wird, dass der konkret gefasste Beschluss im Widerspruch zur Satzung besteht und daher der notariellen Form bedürfte.

 

4. ARBEITSRECHT

4.1. LAG Hessen, 28.01.2019: Vollstreckung Arbeitszeugnis „Gut“

Die AG verpflichtete sich in gerichtlichem Vergleich zur Erstellung eines wohlwollend formulierten Arbeitszeugnisses mit der Note "gut". Die Parteien sahen zudem vor, dass der AN einen Zeugnisentwurf einreichen sollte, von dem der AG nur aus wichtigem Grund abweichen dürfe. Wie so häufig, erstellte der AG ein Zeugnis welches nicht die Sympathie des AN fand. Der AN vollstreckte aus dem Vergleich durch Zwangsmittelantrag. Das Arbeitsgericht setzte ein Zwangsgeld von 500,00 EUR fest, die Beschwerde zum LAG hatte keinen Erfolg. Grundsätzlich fehlt zwar bei einer bloßen Angabe Note „gut“ ein vollstreckbarer Inhalt. Durch die zusätzliche Regelung der Entwurfsvorlage arbeitnehmerseits und Abweichungsbefugnis nur aus wichtigem Grund sei die Übertragung der Formulierungshoheit auf den AN erfolgt. Dies stelle eine wichtige Zusatzregelung dar, welche die Vollstreckbarkeit befördere und die Darlegungslast des AG´s deutlich erhöhe, wolle er abweichen. Erfolgt hierzu kein hinreichender Vortrag, ist durch Vollstreckung vorzugehen. Die Entscheidung enthält mithin eine konkrete Empfehlung, wie bei der Vereinbarung entsprechender Vergleiche zu formulieren ist.

 

4.2. LAG Berlin 11.04.2019. Yogakurs als Bildungsurlaub

Der AG verweigerte die Gewähr von 5 Tagen Bildungsurlaub nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz, entsprechende Urlaubsgesetze bestehen je nach Bundesland vergleichbar. Der AG hielt den Yogakurs nicht für unter die gesetzlichen Voraussetzungen fallend. Nicht so das LAG: der Begriff „zur beruflichen Weiterbildung“ sei weit zu fassen, hierunter falle auch ein 5-tägiger Yogakurs „erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“ – der Arbeitnehmer sei deshalb für 5 Tage Bildungsurlaub freizustellen. Denn es solle die Anpassungsfähigkeit und die Selbstbehauptung unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels gefördert werden. Es darf bezweifelt werden, dass sich ein derart weites Verständnis durchsetzen wird, insbesondere wenn man die zweite Variante des Bildungsurlaubs neben der „beruflichen Weiterbildung“, nämlich der „politischen Bildung“ zum Vergleich heran zieht. Freilich ist auch dieser Kreis weit zu ziehen, er zeigt aber u.E. einen stärkeren „Bildungsbezug“ auf als das Erlernen individueller Entspannungstechniken, welche letztlich auch im Beruf von Nutzen sein könnten.

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